Wenn ich einmal 50 Jahre alt bin
Mehrdad und ich haben uns als Arbeitskollegen 2006 auf einem Flug nach Hongkong kennengelernt. Er würde an dieser Stelle sicherlich behaupten, dass ich mich an Ort und Stelle in ihn verliebt hätte. Sei’s drum, zwinker, zwinker. Tatsache ist jedoch, dass wir heute wohl nicht ein Paar wären, wenn wir uns nicht auf dem Rückflug nach München kurz vor der Landung über Fotografie unterhalten hätten. Und von da an nahm das Schicksal seinen Lauf.
Während wir anfänglich unsere Wochenenden in den verschiedenen Elektrofachmärkten verbrachten und fast hoffnungslos mit dem G.A.S. Virus (Gear Acquisition Syndrome) infiziert waren, so brannte doch in Mehrdad immer ein ganz bestimmter Wunsch bzw. eine ganz bestimmte Sehnsucht: „Zu meinem 50. Geburtstag wünsche ich mir eine Leica!“ Dabei muss man wissen, dass Mehrdad nicht müde wird, ungefähr ein halbes Jahr vor seinem Geburtstag damit zu beginnen, Wünsche für Geschenke zu äußern, die man dann, wie es die Erfahrung gelehrt hat, zumindest einmal für die nächsten fünf Monate ignoriert. Im Laufe der Zeit manifestierte sich jedoch der Leica-Wunsch ganz vehement. Ich war genervt, aber sowas von, und war es müde, mir das Lamentieren andauernd anhören zu müssen. An dieser Stelle long story short: Mehrdad’s erste Leica zog deutlich vor seinem 50. Geburtstag zuhause ein.
Die Faszination Leica und der neue Minimalismus
„Was ist die Faszination an Leica Kameras?“, habe ich mich regelmäßig gefragt. Ich konnte den Reiz nicht wirklich ausmachen. Wieso sollte man viel (sehr viel) Geld für Kameras ausgeben, die teils „nicht einmal digital oder Autofokus können“ und teils sogar, was die Features anbelangt, anderen Kameras auf dem Markt hinterherhängen? Ich will noch einen Schritt weiter gehen: In ihrer Optik betrachtet haben sie zumindest für mich, mit den entsprechenden Objektiven versehen, ähnlich der Fujifilm x100-Reihe eher den Charme einer Zigarettenschachtel. Hoppla, wenn das jetzt der Mehrdad liest. Doch eine Sache muss ich tatsächlich zugeben: Die Bilder haben mit ihren Farben, dem Bokeh und dem 3D-Pop einen ganz besonderen, eigenen Leica-Look, der überzeugt. Der mich begeistert!
Roman hat kürzlich einen Beitrag zum Thema Minimalismus veröffentlicht und darin auch Bezug auf seine Liebe zu Leica Kameras genommen. Dieser Bericht war für mich in gewisser Weise augenöffnend und hat mir Prozesse und Überlegungen in mir aufgezeigt, die mir vorher gar nicht so bewusst waren. Blicke ich aber zurück, stelle ich fest, dass ich schon vor einiger Zeit begonnen habe, mich und mein Umfeld zu reduzieren. Mich von Ballast zu trennen. Ganz banal angefangen vom Ausmisten des Kleiderschranks über das weitere Spenden von Spielzeug und Büchern. Dies betrifft aber auch die Reduktion meines Film und Kamera Equipments. Wie Ihr spätestens oben erfahren habt, haben Mehrdad und ich den gleichen Beruf und genießen den Luxus, die Welt bereisen zu dürfen. Kamera und Co. ständig im Gepäck, wo vor allem das „Co.“ ordentlich Gewicht hat. Ich erinnere mich böse an die Zeiten, in denen ich meine todschicke Kameratasche, die alleine schon über 3 kg Gewicht auf die Waage brachte, immer und überall mit hingeschleppt habe. Von zusätzlichen Akkus und alternativen Objektiven ganz abgesehen. Und all diese Gadgets wie z.B. Gimbals, mein Gott sind das fiese Dinger! Aber hands down, brauche ich die wirklich alle? Machen sie mich zu einer besseren Foto- oder Videografin? Anfänglich habe ich mir eingeredet, dass es so wäre. Heute weiß ich es besser. Das „zuviel“ an Möglichkeiten habe ich nämlich eher als lähmend empfunden.
Mein Weg zur Leica Q
Meine persönliche Reise zur Leica Q führte von einer Spiegelreflex Canon 5D Mark II über die spiegellosen Systemkameras der Hersteller Olympus, Sony und Fujifilm. Sicherlich ist die Entscheidung für einen Kamerahersteller oder ein bestimmtes System zwar nicht in Stein gemeißelt, dennoch sollte man nicht leichtfertig handeln, da mit einer entsprechenden Entscheidung Investitionen einhergehen. Da kann der Geldbeutel bei einer systeminternen Vergrößerung des Equipments oder gar einem kompletten Systemwechsel durchaus bluten. Kommt jetzt noch der Name Leica ins Spiel, springen die Dollar-Zeichen förmlich aus den Augen heraus, während das süße Engelchen und das böse Teufelchen auf der Schulter Polonaise tanzen.
Ich bin eine Frau. Ich fotografiere emotional mit einem Grundblick auf Technik. Ich kenne das Belichtungsdreieck und weiß, an welchen Schaltern ich drehen muss, um ein Bild formal korrekt zu belichten. Und manchmal mache ich das tatsächlich auch. Aber ist es mir wichtig? In meinem Fotografiealltag vermutlich nicht. Basierend auf meiner bisherigen Erfahrung weiß ich, welche Möglichkeiten sich aus der Bearbeitung der RAW-Dateien für meine Art der Fotografie ergeben. Und wer sagt überhaupt, dass ein perfektes Bild technisch perfekt sein muss?! Manchmal hat gerade das Unperfekte den größten Reiz. Was wiederum nicht bedeutet, dass man unbewusst oder unachtsam fotografieren sollte. Wie dem auch sei, die technikaffinen bzw. pixelpeependen männlichen Fotografen fallen obgleich dieser Bekenntnis womöglich reihenweise in Ohnmacht. Sorry not sorry.
Warum die Leica Q? Der Sexfaktor
Einmal mehr möchte ich den Minimalismusgedanken aufgreifen. Ich habe mich also gefragt, ob sich die Reduktion nicht nur auf den Umfang des Equipments, sondern auch auf das Design und das Innere, also die Eigenschaften einer Kamera beziehen kann. Quasi die Konzentration auf das Wesentliche. Damit geht natürlich die ehrliche Auseinandersetzung einher, wie und was man fotografiert und was man dafür wirklich an Technik braucht. Wievielen Megapixeln man beispielsweise hinterherjagen mag. Oder ob es wirklich 4K sein muss. Als kleine Randbemerkung diesbezüglich: Ich habe alle meine bisherigen Videos bewusst immer in Full HD aufgenommen, auch wenn die Kamera mehr (4K) hergegeben hätte.
Soviel stand zumindest fest: Ich habe nach einem leichten, kompakten, aber leistungsstarken everyday carry System gesucht. Manch einer würde sagen: „Dann nutze doch dein iPhone!“ Wenngleich ich überzeugt bin, dass die Smartphones der neuesten Generation unter guten Lichtbedingungen sehr schöne Bilder machen können, war das keine Option. Bei der Bildqualität bin ich kompromisslos. Der Zyniker mag jetzt behaupten, dass der Spagat zwischen einem iPhone und einer Leica Kamera weit ist. Und ja, da hat er Recht. Bis man bei Leica ankommt, gibt es noch eine Vielzahl günstigerer und hochperformanter Alternativen. Ich muss gestehen, dass ich mich ein Stück weit wie eine Leica Amazone fühle, da die Nische der Leica-nutzenden Amateur-Fotografinnen, zu denen ich mich zähle, sicherlich klein ist.
Ich würde lügen, würde ich behaupten, Mehrdad hätte seine Finger nicht im Spiel gehabt und mich nicht in die Richtung der Leica Q geschupst. Das könnt Ihr Euch sicherlich denken. Nach den paar Wochen, in denen sie nun schon in unserem Haushalt wohnt, muss ich aber sagen, dass ich die Leica Q ziemlich sexy finde!
Als für mich persönlichen, wesentlichen „Sexfaktor“ möchte ich auf das kompakte, leichtgewichtige Setup mit einer fest verbauten, äußerst lichtstarken Festbrennweite verweisen. Davon abgesehen, dass das Schätzchen in fast jede Tasche passt, ist das Summilux 1:1,7/28 mm ASPH eine klassische und universelle Brennweite, mit der man fast alle Fotografie Genres perfekt bedienen kann. In den vergangenen Jahren war mein go to Objektiv eine auf Kleinbild gerechnete 35 mm Festbrennweite. Anfänglich waren die 28 mm eine kleine Herausforderung, aber gerade in der Stadt mit einem Spektrum von engen Gassen bis ausladender Architektur bin ich für den erweiterten Bildwinkel extrem dankbar. Komme ich damit an meine Grenzen? Sicher, alles andere wäre gelogen. Da ich aber auch schon zuvor ausschließlich mit vornehmlich weinwinkligen Festbrennweiten fotografiert habe, muss ich mich gegebenenfalls ein wenig mehr bewegen, um näher an das Objekt meiner Begierde heranzukommen. Und auch das hat seine Grenzen. Gegebenenfalls kann man den gewünschten Ausschnitt später in der Bildbearbeitung noch ein wenig zurecht croppen. Tele ist dann einfach nicht drin. Amen. Aber auch hier musste ich mir eingestehen, dass ich zuvor, in meinem Prä-Leica-Leben quasi, nur äußerst selten zusätzliche Objektive mitgeführt habe. Mein heutiges Mantra lautet entsprechend: Keep things simple! Und diese Erkenntnis hat eine ungeheure Last von mir genommen und mir die Freude am Fotografieren zurückgebracht.
Nun kommen aber noch zwei weitere Punkte hinzu, die mich begeistern und die ich nicht unerwähnt lassen möchte: Erstens, Bokeh Baby! Als ehemalige Besitzerin des ZEISS Loxia 2/35 und des ZEISS Batis 1.8/85 liebe ich das „schmotzige“ Bokeh beim Spiel mit den Unschärfen. Das eingebaute Summilux steht diesen beiden Objektiven in diesem Zusammenhang in nichts hinterher. Die Blende 1,7 ist fast schon meine bevorzugte Standardvoreinstellung. Zweitens, auch wenn ich keine ausgesprochene Makro-Fotografin bin, weiß ich den am Objektiv einstellbaren Makro-Modus sehr zu schätzen. Er ermöglicht es mir, noch einen Schritt näher heranzutreten, um Details in Szene zu setzen.
Zum Schluss bleibt mir nur zu sagen: Mein Name ist Heike, ich bin noch keine 50 Jahre alt, und seit wenigen Wochen bin ich stolze Besitzerin einer Leica Q.
Leave a reply
Liebe Heike,
danke für den tollen Beitrag und die amüsanten Infos über das Leben hinter den Abedi Kulissen 🙂
Ich freue mich auf weitere Beiträge und Fotos.
Liebe Grüße aus Hamburg,
Milad (noch laaange keine 50)
Cooler Beitrag 😉 bin auch eine Frau und es tut mal gut, dass die Technik ein bissel in den Hintergrund rückt 🙂 bekomme meine morgen freu freu freu freu
Liebe Manuela,
zunächst herzlichen Dank für Dein schönes Feedback. Es hat mich wirklich sehr gefreut! Juhu, dann heißt es ab morgen „Willkommen im Club!“ Ich freue mich sehr für Dich und wünsche Dir viel Spaß mit Deiner neuen Leica. Wenn Du magst, hinterlasse doch einen Link, wo wir Deine Bilder bewundern dürfen.
Liebe Grüße aus Berlin
Sehr schöner Beitrag und tolle Fotos! Mich würde interessieren, warum du dich für die Q und nicht für die Q2 entschieden hast? Ich hab mir am Wochenende auch die Q (gebraucht) bestellt, bin allerdings noch unschlüssig, ob ich nicht nach ein paar Wochen, wenn ich merke, dass ich mit 28mm gut klar komme, upgrade.
Die Vorfreude ist so oder so riesig, ich kann es kaum erwarten das Teil in den Händen zu halten. 🙂
Liebe Jana,
ganz lieben Dank für Deine Worte und Dein Lob! Bevor ich aber auf Deine Fragen eingehe, möchte ich Dir ein dickes Lob zurückgeben: Ich war eben auf Deiner Webseite und habe mir Deine Bilder angeschaut… ich bin begeistert!
Juhu, ich freue mich für Deinen Kamera-Neuzugang und hoffe, dass Du mit Deiner Wahl glücklich und zufrieden bist! Ich hatte bei meinem Kauf beide Optionen für eine gebrauchte Q bzw. eine gebrauchte Q2. Im Grunde habe ich eine ehrliche Bedarfsanalyse gemacht, was ich fotografiere, wie ich fotografiere und was ich mit den Fotos mache. Ich habe mir vor diesem Hintergrund die Frage gestellt, ob mir die Q2 einen Mehrwert bringen würde und musste sie für mich mit „Nein!“ beantworten. Ein Mehr an Pixeln brauche ich nicht, da ich mit der 28mm Brennweite sehr gut zurecht komme und mir der Aufpreis für ein gelegentliches Croppen zu hoch ist. Ebenso wenig ziehe ich meine Fotos auch großformatige Leinwände auf.
Liebe Grüße