Eigentlich springe ich nicht gerade im Quadrat, wenn ich „Tessar“ lese. Diese meistens sehr kompakten Objektive sind früher zumeist gut, aber selten sehr gut gewesen. Dafür zumeist schön kompakt. Man kann nicht alles haben. Mein „früher“ bezieht sich jetzt gerade auf Produktion prä-1990er Jahre. Tessare gibt es seit den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts – im Grunde also schon sehr lang. Sie gehen aus Anastigmaten hervor und wurden Anfang der 1930er Jahre weiterentwickelt um etwas mehr Lichtstärke herauszukitzeln – hier sprechen wir von satten f3.5 oder f2.8 -sieht man, was es damals sonst noch gab, ist das schon ein großer Fortschritt.
Kaum eine Bauweise hat sich dermaßen lange erhalten. Hier finden sich 4 Elemente, die zumeist symmetrisch angeordnet sind. Ein 85mm f4 Tele-Tessar taucht ab 1957 auf dem Markt auf – wir können uns hier also mit einem stets verbesserten 60 Jahre alten Design auseinander setzen – perfekt für unsere heritage Reihe, beschreibt diese doch Objektive, die quasi die zugleich die Herkunft unserer heutigen Objektive bilden als auch fotografisches Erbe ausmachen. Viele der älteren von uns sind mit genau solchen Objektiven fotografiert worden und/oder haben „damals“ selbst mit genau solcher Ausrüstung angefangen. Es ist faszinierend, wie sich manche Linsendesigns gehalten haben und was sie in verbesserter Form auch heute noch leisten. Der Bildlook ist das, was wir mit „früher“ und „damals“ verbinden. Das sind die fotografischen Erinnerungen. Doch nun mal zum Objektiv:
Mit seinen nurmehr 310 Gramm ist das Tele-Tessar 85mm ZM eher ein Leichtgewicht unter den sogenannten kurzen Teleobjektiven. Die 85mm Brennweite ist vielen Fotografen auf dem Kleinbildformat geläufig und wird scheinbar sehr oft für Portraits eingesetzt. Die große Verbreitung dieser Brennweite sieht man allein schon daran, dass es kaum ein System gibt, dass diese Brennweite oder das Bildwinkeläquivalent je nach Sensor nicht anbietet. Teilweise gibt es auch mehrere Versionen mit verschiedenen Offenblenden für ein und dasselbe System.
Weit verbreitet sind Varianten von f1.4 (manchmal auch f1.2) bis f2.8. Ein gut korrigiertes Teleobjektiv mit einer derartig hohen Lichtstärke benötigt zumeist recht viel Platz und vor allem viel Glas, was sich freilich im Gewicht und in der Größe niederschlägt. Die Frage, die man sich hier stellen muss, ist, ob diese Lichtstärke tatsächlich immer nötig ist (und überhaupt korrekt angewandt…). Schließlich ist bei 85mm und einer Blende von f1.8 unter drei Meter (also beispielsweise bei einem Kopfportrait) der Schärfebereich nur wenige Zentimeter tief und damit nicht einmal ausreichend um von den Wimpern bis zum Ohr alles scharf abzubilden. Hat man dann noch die natürlichen Bewegungen des Fotografen und des portraitierten Menschen im Blick, wird es haarig. Zudem, wenn man nicht gerade ganz tief in die Tasche greift, erhielt man zumindest „früher“ Objektive, die zwar bei f1.8 lagen, bei dieser Blende aber so weich abbilden, dass man ohnehin zumeist auf f2.8 abgeblendet hatte. (Ja, das hellere Sucherbild bei Spiegelreflexkameras ist ein äußerst wichtiger Punkt, ist nicht vergessen.)
Warum also etwas schleppen und teuer bezahlen, das teilweise nicht sinnvoll ist?! Diese Frage kann ein Grund dafür sein, dass Zeiss in der ZM Serie zumeist nicht die Lichtmonster anbietet – viele Objektive sind eher bei f2.8 angesiedelt und das Tele-Tessar hier sogar bei f4. Letzteres ermöglich eine sehr kompakte und leichte Bauweise, die das Tele-Tessar (ab jetzt TT85) zu einem guten Begleiter macht. Man kann für den Fall, dass man ein Tele benötigt, immer eins dabei haben, ohne dass es die Tasche zu schwer macht – versuch das mal mit einem 85er Otus! 😉
Das TT85 ist qualitativ hochwertig gebaut – alles rastet sauber ein, Blenden- und Fokusring drehen sich genau richtig. Der Fokussierweg ist angenehm weit, so dass man wirklich gut und präzise fokussieren kann. Präzise bekommt bei einer Schärfentiefe, die bei 85mm und Blende f4 entsteht, eine sehr praktische Bedeutung. Es ist schnell und einfach, das gewünschte Objekt in den Fokus zu bekommen – am Messsucher sicher ein Kinderspiel – mit den spiegellosen Systemkameras, auf denen ich das TT85 ausprobiert habe, war es jedenfalls ein Klacks. Der zeisstypische Mikrokontrast hilft auch hier beim Fokussieren.
Bei der Bildwirkung muss ich allerdings sagen, dass hier keine übermäßigen Besonderheiten zu erwarten sind. Das finde ich teilweise schade, hauptsächlich aber gut. Das TT85 ist ein unauffälliges Arbeitstier. Es bildet sauber und klar ab, bereits bei Offenblende ist es scharf und hat nur wenig Vignettierung. Insofern braucht man hier nicht unbedingt mehr viel abblenden um schon sehr gute Ergebnisse zu erhalten. Für alle, die gern konsistente Ergebnisse von Offenblende an haben wollen, ist hier ein kleiner Kauftipp gegeben. Bokehspiele funktionieren auch hier, es ist allerdings nichts, dass ich mit dem TT85 angefangen habe.
Wer sich nun fragt, ob denn nicht nur noch unglaublich lange Belichtungszeiten nötig sind um schöne Bilder zu bekommen, weil man ja „nur“ (Oh Schreck!!!) f4 als Offenblende hat, sei beruhigt: Einfach mal mit ISO1600 fotografieren… bei den heutigen Kameras ist das wirklich kein Problem. Es gibt ja hier unter den Lesern noch, so wie mich, analogfotografierende Dinosaurier, die sich daran erinnern, dass man genügend Möglichkeiten hatte und hat, auch mal mit einem 200er Film klarzukommen…
Wer sich nun immer noch fragt, ob f4 sinnvoll ist… Ja! Ausreichend Tiefenschärfe, konsistente sehr gute Ergebnisse ab Offenblende, geringe Größe und Gewicht und der Status als ein Immerdabei sollten eigentlich als Argumente ausreichen. Wer ZM Objektive nutzt, weil sie schön klein sind, und überlegt, was im Telebereich dazukommen könnte, kann hier fündig sein. Vielleicht kann ich nun doch ein bisschen im Quadrat springen. 🙂
Anbei auch ein paar bunte Bilder, einfach Draufklicken und Freude haben!
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- 85mm auf APSC
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- So sieht’s aus!
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Schöner Bericht zu einem wirklich schönen Objektiv, das mir auch sehr gut gefallen hat, als ich es vor Jahren ausprobieren konnte. Zusammen mit dem schnuckeligen Zeiss CM 2,8/35 mm eine tolle Minimalausrüstung, wenn man noch auf Film fotografiert.
Für das 85er Tessar gibt es noch eine optisch hervorragende und dabei deutlich preiswertere Alternative: das Sonnar 2,8/90 mm von der Contax G1 oder G2. Ich habe noch meine G2-Ausrüstung und damit auch unter anderem noch das Sonnar 2,8/90 mm. Das ist aber auch für kleines Geld gebraucht zu erhalten. Ich verwende das Sonnar inzwischen an der Fuji mit dem griffigen Fokussieradapter „Contax G – X-Mount“ von Metabones. Der macht das kleine und schlanke Objektiv etwas fetter, weil das AF-Sonnar keinen Schneckengang besitzt. Dafür lässt sich das Tele mit dem Adapter feinfühlig fokussieren. Selbst bei Offenblende bildet das Sonnar wirklich ausgezeichnet ab.
Frank
Hallo Frank,
ich freu mich, dass dir der Artikel gefallen hat! Die Contax G Objektive würde ich zu gern ausprobieren und auch gern darüber schreiben. Vom 90er bspw hört man ja nur Gutes. Die geringe Baugröße macht es natürlich für die spiegellosen Kompakten sehr interessant.
Viele Grüße!
Elmar