Heute haben wir wieder einen Gastbeitrag für Euch. Matz Binder ist wieder einmal zu Gast bei uns, er ist so ein bisschen unser analoge Fotografie Fachmann, auch heute wendet er sich einem Thema zu welches vor allem in der analogen Fotografie sehr hilfreich ist, vor allem dann wenn kein Belichtungsmesser zur Hand ist.
Man neigt vielleicht dazu in Panik zu verfallen, wenn man sich vorstellt, man habe eine Kamera ohne Belichtungsmessung und soll einen Film korrekt belichten. Wahrscheinlich halten die meisten unter uns genau das für unmöglich, doch es ist im Grunde kinderleicht. In diesem Beitrag erkläre ich meine Sunny 16 Spezialmethode, mit der ich ohne jegliche Belichtungsmessung immer korrekt belichtete Bilder produziere.
Als erstes brauchen wir die Regel selbst. Die Sunny 16 Rule sagt: “Nimm den Kehrwert der Filmempfindlichkeit als Verschlusszeit und wenn die helle Sonne harte Schatten wirft, stelle Blende 16 ein.
Beispiel: Du hast einen Ilford FP4+ mit 125 ASA. Also stellst Du die Verschlusszeit auf 1/125. Die Sonne brennt vom Himmel und die Schatten sind hart? Dann Blende 16. Du belichtest also mit 1/125 bei Blende 16.
Gibt es die Verschlusszeit nicht direkt, z.Bsp. bei ASA 400 die 1/400 sec. dann nimmt man die nächstgelegene, in dem Fall 1/500.
Sind auch ein paar Wolken am Himmel, nimmt man Blende 11. Ist es bewölkt, Blende 8 und wenn es dunkle Regenwolken sind Blende 5,6.
Die Sunny 16 Regel ist nichts Neues und hinreichend gut im Netz beschrieben, daher kann ich nur ermutigen sich vielleicht das eine oder andere Tutorial dazu anzusehen oder durchzulesen.
In diesem Beitrag ergänze ich die Sunny 16 Regel, um ein paar persönliche Weisheiten, die mir helfen immer korrekt zu belichten.
Ich bin ein bekennender Fan des FP4+ 125. Der Film hat den Vorteil, dass er eine Nenn ISO von 125 hat und dieser Wert direkt als Verschlusszeit einstellbar ist. Wenn man bei ISO 125 nach Sunny 16 arbeitet und die man Blende 16 wählt, dann hat man ca. 15 Lichtwerte (EV).
Jetzt wird’s cooler: Ich nehme am liebsten ISO 250. Zu einem bringt das einen tollen Allzweckbelichtungsbereich, zum anderen entspricht helles Sonnenlicht mit harten Schatten ca. EV 16.
Ich habe also als Bezugsgrößen Blende 16 und EV 16. Wenn der Himmel dicht bewölkt ist und ich 13 EV Licht habe, muss ich als 16-13 = 3 Lichtwerte von meiner Bezugsgröße abziehen. Wir erinnern uns an die Blendenreihe…
16 – 11 – 8 – 5,6 – 4 – 2,8 – 2 – 1,4
In der Praxis zähle ich nur noch die Klicks am Blendenring und stelle die Blende auf 5,6. Oder ich stelle die Blende auf 8 und dafür die Verschlusszeit auf 1/125.
Noch ein Beispiel: Ich fotografiere in einem mäßig beleuchteten Innenraum mit 7 EV. 16-7 = 9. Ich muss also 9 volle Belichtungsstufen von der Sunny 16 abziehen. Ich kann also 6 Blenden weniger nehmen und f2 einstellen und die restlichen 3 Stufen von der 1/250 abziehen und lande bei 1/30. Da Film sehr tolerant ist und 1/30 zum Verwackeln neigt, nehme ich 1/60.
Jetzt stellt sich nur die Frage: Wie schätze ich die EV?
Dazu eine kleine Liste als Hilfsmittel.
- Grelle Sonne überwiegend helle flachen (Sand/Schnee): 17 EV
- Helle Sonne, harte Schatten: 16 EV
- Sonne, ein paar Wolken, weiche Schatten: 15 EV
- Bewölkt: 14 EV
- Regenwolken ohne Regen: 13 EV
- Regenwolken mit Regen: 12 EV
- Einsetzende Dämmerung: 11 EV
- Heller Innenraum mit wenig Reflektionsflächen: 10 EV
- Künstlich ausreichend beleuchteter Innenraum: 9 EV
- Künstlich mittel beleuchteter Innenraum 8 EV
- mäßig beleuchteter Innenraum 7 EV
Ergänzend hierzu muss man die dunklen Flächen im Bild betrachten. Wenn mind. 1/3 des Bildes von sehr dunklen Bereichen gefüllt werden, sind 2 EV mehr Licht ins Objektiv zu lassen, also z.Bsp. die Blende um 2 Stufen weiter öffnen.
Am Ende muss man also nur ein Gefühl für den Lichtwert bekommen und damit ausgehend von 16 anfangen zu zählen.
Das Beitragsbild oben, stammt aus einem Film der Leica M4 mit Voigtländer Nokton 35mm f1.4 MC. Das Setup in Verbindung mit dem Ilford FP4+ bei 250 ASA erlaubt einen sehr großen Spielraum bei toller Qualität. Einen Belichtungsmesser verwenden ich grundsätzlich nicht mehr. An diesem Tag war das Wetter bedeckt und die Vorderseite des verfallenen Gebäudes lag im Schatten. Durch den Lichtschacht fiel das Licht des bedeckten Himmels auf den Stahlträger. Für mich sah das nach 13 EV im hellen Bereich und 8 EV im vorderen Bereich aus. Also habe ich bei ASA 250 die Verschlusszeit 1/250 bei Blende 5,6 eingestellt und dann nochmal nach Gefühl eine halbe Blende weiter aufgemacht. Das Bild ist perfekt belichtet.
Man muss das Ganze üben. Sehr hilfreich für mich, war beim Lernen der EV Werte der Gossen Digisix. Er zeigt auf Knopfdruck den EV Wert an. Wenn man das oft genug gemacht hat, kann man die Messung sehr präzise schätzen und wenn der Digisix dann nett zu Dir ist und dich im entscheidenden Moment wegen einer leeren Batterie im stich lässt, kannst Du alleine laufen.
Das menschliche Auge kann Unterschiede in der Lichtmenge in 10% Änderungen erkennen und unterschieden. Die Blendenreihe arbeitet mit der Verdoppelung der Lichtmenge. Es gibt als keinen Grund, unser Sehvermögen nicht zum Belichtungsmesser zu trainieren.
In diesem Sinne: Lasst Eure Belichtungsmesser zu hause und übt die Sunny 16 Regel.
Verwendetes Equipment und Workflow
- Leica M4
- Voigtländer 35mm 1.4 Nokton Classic M.C. VM
- Matz (für die Lichtmessung, Filmtransport, Motiverkennung, etc.)
- Ilford FP4+ 125, bei ASA 250
- Kodak XTOL in Verdünnung 1+1
- Adox Schnellfixierer
- Epson V750 Pro mit Epson Scan, Ausgabe als TIFF
- Nachbearbeitung in Apple Fotos
Wer mehr über Matz Binder erfahren will der kann dies am besten auf seiner Website oder seinem Instagram Account tun:
Website: https://lichtgriff.de
Instagram: https://www.instagram.com/matzbinder/
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Noch nie zuvor hat jemand die Sunny16-Regel so einfach und einleuchtend erklärt wie Matz Binder!
Ich habe mir auch schon andere Erklärungen im Netz angeschaut, aber die von Herrn Binder ist wirklich die beste!
Ich bin 55+ und mit analogen Kameras aufgewachsen, nach einem kurzen Ausflug in die digitale Fotografie bin ich wieder zur Fotografie auf Film zurückgekehrt…dann werde ich jetzt mal meine Vito oder Praktica L ohne Belichtungsmesser wieder aus dem Schrank holen und die Matz-Binder-Sunny16-Regel ausprobieren…
Früher gab es noch eine andere Faustregel für die Belichtung: „Die Sonne lacht, Blende acht“! Wer kennt die noch?
Aber damals waren 18 DIN/50 ASA das höchste der Gefühle bei den Filmempfindlichkeiten…
Schöne fotografische Grüsse,
JCArgentix
Vielen Dank für diesen Beitrag! Hin und wieder zweifle ich ob eine rein Mechanische Kamera die richtige Wahl für mich ist. Dein Beitrag gibt mir wieder Hoffnung einfach mehr das Belichten zu üben und ein Gefühl dafür zu bekommen.