„Wozu dienen eigentlich die Fenster?“
Vor einiger Zeit begleitete ich eine Gruppe Wissbegieriger durch eine „meiner“ Kirchen. Wir waren ins Gespräch vertieft über die Symbolik der Kirche. Da gab es einiges zu entdecken: Anzahl und Standorte der Säulen und Pfeiler, ebenso deren Ausgestaltung, Malereien, Ausstattung, Ausrichtung, Architektur im Großen und Kleinen und letztlich auch der Kirchenschatz. Viel zu sehen und zu besprechen. Mittendrin, wir hatten gerade die größere Architektur beim Wickel, erwischte mich dann die Frage einer Dame: „Wozu dienen eigentlich die Fenster?“ Diese Frage zu stellen, lag nahe, letztlich hatten wir doch recht viel über anderes architektonisches gesprochen. Ich musste in dem Moment jedoch schmunzeln – ja, wozu dienen denn die Fenster? (an dieser Stelle Romanik) Um Licht reinzulassen, damit die Kirche nicht stockfinster ist und man sich entsprechend die Kerzen sparen kann. Ja, das leuchtete ein. Diese Frage blieb mir als Schmunzler recht lange erhalten und kommt bei manch absurder Frage („Sind die Lampen auch mittelalterlich?“ (angesprochen waren elektrische Lampen…)) auch immer mal wieder hoch.
Gleichzeitig öffnet allein das Vorhandensein einer solchen Frage eine weitere Perspektive – die der Bewertung und Interpretation des Notwendigen und Sichtbaren und die der Notwendigkeit der Interpretation und Bewertung. Ist weniger kompliziert als man jetzt vielleicht denkt und hat durchaus Berechtigung, auf einem Fotoblog zu erscheinen. 😉
Im Falle der Frage nach den Fenstern wurde es ganz offenbar: Durch die Betrachtung des (womöglich) mit Hintergrundgedanken gebauten (Säulen, Pfeiler etc) ging es mit den Betrachtenden durch und es wurden mehr Aspekte hinterfragt als nötig (Zweck der Fenster). Über die Positionierung der Fenster innerhalb des Ensembles kann man ja noch nachdenken (wenn man unbedingt möchte), aber über den Zweck derselben? Hmm. Ziel dieser Gedankenführung ist folgendes: Es gibt Aspekte am Werk, die man interpretieren kann aber auch welche, die keiner Interpretation bedürfen, wenn es klare Vorgaben dazu gibt. Oder??? Verrückt. Beispiel Fenster: Interpretation ja bei Position und Ausrichtung, Interpretation nein bei Zweck. (Ein Vorschlag.)
Jetzt kommt es langsam in die Richtung, in die ich eigentlich will – Aspekte einer Fotografie, die man steuern kann, gegenüber solchen, die man nicht steuern kann. Schaue ich mir Bilder der vergangenen Größen der Street Photography an, kommen mir oft Gedanken in Richtung Steuerung des Bildinhalts. Wieviel ist Zufall, wieviel arrangiert? Und wenn man dann dazu noch die studierten (studere = sich bemühen! 😉 ) Bildinterpretationen mancher Autoren zu genau diesen Bildern ansieht, kommt entweder Grausen oder Schmunzeln. Ich erinnere mich an spontane „street portraits“: von schräg unten (quasi Brusthöhe) im Vorbeilaufen Passanten knipsen, ohne dass diese es merken. Da bekommt man teils skurriles zu sehen. Menschen, die man nie getroffen hätte, interessante Typen in toller Kleidung etc pp. Was dann allerdings da hinein interpretiert wird…
Konstruiertes Beispiel: Eine Frau mit einer Zeitung unter dem Arm bpsw… Cooles Bild, keine Frage, und sicher auch eine modedokumentarische Arbeit (seht ihr, da geht es schon los!), allerdings muss ich, der sowas auch wirklich mal gern liest und durchdenkt, ab einem bestimmten Punkt auch den Kopf schütteln: Wenn dann nämlich interpretiert wird, welche Zeitung diese Frau da trägt und das dann plötzlich Teil der absichtlichen Bildaussage wird… Tja. Dann kann die Zeitung nur vom Fotografen platziert worden sein, oder? Meine Frage an der Stelle: Kann ich einen solchen Punkt, der zufällig hinzukam, wirklich dem Fotografen zuschreiben (in Form von „absichtlich“)? Hat er diese Frau nur fotografiert, weil sie genau diese Zeitung trug? Oder war es etwas anderes? Echte Fragen, keine Polemik und schon gar keine echte Antwort auf dies interpretatorische Prinzip.
Was ist also Zufall und was kann dem Autor zugeschrieben werden? Was ist technisch bedingt und „ging nicht anders“? Sind Notwendigkeiten interpretierbar oder zeigen sie einfach nur sich selbst auf? Heute ist es ja regelrecht ein Kunstgriff, wenn man eine Serie analog fotografiert. Vor 30 Jahren war es hingegen selbstverständlich und konnte somit auch nicht zu interpretieren sein, oder doch? Hmm. Gleiches gilt für die Wahl des Wiedergabemediums: Digital oder Analog. Monitor oder Papier. Papier oder Alu. Alu oder Kunststoff. Kunststoff oder Papier. Usw usf. Das Medium ist ja auch Teil der Botschaft, richtig? Letztlich muss man abwägen, was technisch gegeben ist oder dem Zeitgeist geschuldet gegenüber dem, was man aus der Palette direkt auswählt im schaffenden Prozess.
Man sieht, der fotografische Prozess geht recht weit. Es ist viel mehr als nur „Handy raus – knipsen!“. Letztlich wirft das noch ganz andere Fragen auf, die man einmal gesondert betrachten kann.
Handwerk vs Kunst
Schöpfen vs Bauen
Spannende Themen, wie ich finde, und vielleicht Denkanstöße, weitere Aspekte einer Fotografie zu betrachten.
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Hallo Elmar,
ich kenne mich mit Kirchen und architektonischen Stilen leider gar nicht aus, denke aber, dass die bunten Kirchenfenster, die mir gerade in den Sinn kommen, sehr wohl eine Aufgabe neben der offensichtlichen (Licht einlassen) haben, nämlich dem einfachen Volk Geschichten aus der Bibel in Bildern zu erzählen.
Aber zurück zur Fotografie und speziell zur Streetfotografie (kann man das eigentlich so schreiben: englische street und deutsches fotografie?). Ich weiß nicht, ob du Avedons Bild mit der Frau und der Zeitung mit der Überschrift über Kennedys Tod meinst, aber bei diesem Bild kommt aus meiner Sicht Zufall und Können des Fotografen zusammen. Die Frau kam zufällig daher, aber Avedon hat sofort das Potential dieses Bildes erkannt und reagiert, mir gelingt so etwas nie. Ich denke, das macht einen großen Streetfotografen aus.
Viele Grüße,
Ralf
Hallo Ralf! 🙂
Das Geschichtenerzählen per Fensterbild bzw Glasmalerei als Fortsetzung der Wandmalerei war bewusst, jedoch tatsächlich nicht gefragt, da es um Klarglasfenster ging. Ansonsten geb ich dir da eingeschränkt Recht: Was wir als bemalte Fenster deuten in der Gotik, sind eher transluzente Wände, bei denen die Malereien zum Leuchten kommen, quasi die Erweiterung der Idee der Wandmalerei. 🙂 Insofern ja, Fenster, aber auch irgendwie nicht.
Ich hatte tatsächlich eine Serie von Walker Evans im Hinterkopf, gut, dass du Avedon ins Spiel bringst. Der hat dieses Detail vermutlich gesehen und entsprechend gehandelt. Wieviel Zufall kann man da bedenken? Das sind alles Fragen, die ich nicht rhetorisch stelle, sondern auf eure Anregungen hoffe.
VG Elmar
Ich sag es ja, mit Kirchen kenne ich mich nicht aus ;-).
Bei Avedon stelle ich mir das so vor: Kennedy wurde erschossen, die Bevölkerung ist schockiert und Avedon zog los, genau diese Stimmung im Volk zu fotografieren. Insofern geplant, die einzelnen Szenen dann aber doch Zufall.
Bei Avens sehe ich das etwas anders. Viele seine Bilder sind doch eher Porträts oder Milieustudien. Da, denke ich, hat er schon sehr viel mehr Einfluss auf die abgebildeten Personen ausgeübt.
Ich fotografiere auch (und fast nur) „Street“. Manchmal ist man ja wirklich geneigt, anderen Streetfotografen zu unterstellen, dass sie geschummelt haben, dass sie das ganze Foto initiiert haben oder mittels Photoshop manipuliert. Steve McCurry wurde mal erwischt, mittels Softwareeinsatz Dinge verschoben und Hintergründe aufgeräumt zu haben.
Andererseits: auch ich habe im laufe der Jahre manches Foto gemacht, bei denen andere vielleicht skeptisch werden, die aber authentisch sind.
Es gibt einfach oft ganz irre Zufälle, und wenn man tausende und vielleicht zigtausende von Kilometern (wirklich!) durch die Gegend streift, sieht man eben mehr als andere. Ich denke, ich habe als Street Photographer 10.000 bis 12.000 km auf dem Buckel. Andere garantiert viel mehr.
Ich habe vor Jahren mal auf Fuerteventura den wohl besten Windsurfer aller Zeiten, Björn Dunkerbeck, kennengelernt, und ein anderes Mal einen Fußballer aus Paraguay, der bei Flamengo Rio in der ersten brasilianischen Liga kickte. Solche Leute sind Lichtjahre entfernt vom Können eines „normalen“ Windsurfers oder Fußballers. Gleiches gilt für Sprachtalent. Ich habe Leute aus Belgien, Haiti, Litauen und Rumänien kennengelernt, die 6 oder 7 Sprachen fließend und fehlerfrei sprechen.
Immer, wenn ich geneigt bin, zu zweifeln, ob die Kollegen schummeln, halte ich mir das vor Augen.
Auch in der Fotografie gibt es Koryphäen, die einfach weit jenseits vom Können anderer „sehen“ und fotografieren.
Ein toller Artikel. Spannend wie viele Gedanken es geben kann zu einem Bild oder etwas so Offensichtlichem wie dem Fenster.
Ich muss gestehen, dass ich dich oftmals Dinge arrangiere oder aus einem anderen Winkel fotografiere, wenn mir so die Bildaussage besser gefällt. Ganz selten verwende ich sogar Photoshop, wenn ich das Bild unter keinen Umständen so in Erinnerung haben möchte oder die Bildaussage nicht in die Richtung geht die ich gerne hätte (kommt aber sehr selten vor)
Liebe Grüße