Das Zeiss Otus 28mm f1.4 – die Eule unter den Weitwinkeln
Eulen sind bekannt für ihre hervorragenden Augen. Als zumeist nachtaktive Jäger benötigen sie diese um auch bei schlechtesten Sichtverhältnissen ihre Beute klar ausmachen zu können – etwas, das sie mit einem Fotografen gemeinsam haben. Letzterer möchte auch gern bei schlechtestem Lichte beste Ergebnisse bringen. Was braucht man dazu? Klar. Gute Objektive! Und da kommen die Otus ins Spiel:
Im letzten Sommer hatte ich die wunderbare Gelegenheit, die beiden damals verfügbaren Otus Objektive von Zeiss zu testen. Zu jener Zeit gab es nur das 55mm f1.4 und das 85mm f1.4. Seit diesem Jahr ist nun endlich auch das 28mm f1.4 Otus erhältlich. Ein guter Schritt von Zeiss, sind doch nun klassiche Brennweitenbereiche abgedeckt. Leichtes Weitwinkel, „Normalobjektiv“ und leichtes Teleobjektiv.
Auf den ersten Blick fragt man sich natürlich, warum man bei einem 28mm Weitwinkel eine Blende von f1.4 benötigt – zum Freistellen eher nicht, da würde ich persönlich eher zu einer längeren Brennweite greifen. Vermutlich geht es also um die Lichtstärke bzw darum, möglichst kurze Verschlusszeiten bei wenig Licht zu ermöglichen.
Natürlich muss man dieses Objektiv im Zusammenhang mit der übrigen Produktpalette von Zeiss sehen. Ein 28mm f2 hätte auch „gereicht“, ist allerdings bereits bei der „Classic“-Serie schon verfügbar. Ein Otus verlangt ja quasi nach einem Alleinstellungsmerkmal auch neben der überragenden Bildqualität. Außerdem weisen die anderen Objektive der Otus-Serie auch alle eine Offenblende von f1.4 auf, insofern fügt sich das 28mm gut ein.
Zum Design und den damit verbundenen Features habe ich hier und im Zusammenhang mit den Milvus-Objektiven hier etwas geschrieben. Kurz gesagt: Das 28er Otus kommt „gewohnt“ mächtig daher. Leicht bräunlich bronzefarbener Ton mit gelber Beschriftung. Bei Drehung des Rings dreht sich auch nur dieser, die gelbe Skala liegt hinter einem Fenster, das allerdings offen steht und wird gleich beim Fokussieren mitgedreht. Die Kanten sind recht scharf – Vorsicht! Aber, wie bekannt, wir schauen durch das Objektiv und nicht auf das Objektiv!
Mir gefällt die Bildwirkung des Otus sehr. Ich habe die Offenblende gern mal verwendet um den besonderen Charakter der Linse zu erkitzeln. Allerdings ist es dann relativ schwierig, genau zu fokussieren. Zudem brauche ich bei diesen Weitwinkelaufnahmen eher mittlere Blenden von bspw f5.6 für Komposition und Durchzeichnung. Das schwierige Fokussieren kommt durch den sehr weichen Übergang von Scharf zu Unscharf. Trotz genau eingestellter Dioptrienkorrektur und Vergrößerungsokular an meiner Nikon Df lag ich oft etwas daneben beim Fokussieren.
Aber nicht nur das Fokussieren war schwer… Insgesamt empfand ich das Otus als sehr schwer und sehr groß. Jedes Werkzeug hat seine Physis – kein Problem. Hier sage ich ausnahmsweise mal: Zu groß und zu schwer.
Es ist kein Objektiv, das man mal eben so dabei hat. Es ist kein Objektiv, das man sich kauft, wenn man ab und zu mal mit diesem Bildwinkel arbeiten will. Dieses Objektiv lohnt sich nur, wenn man seine vorhandenen Otus-Objektive sinnvoll ergänzen möchte und auch im leichten Weitwinkelbereich die Otus-typische Bildsignatur finden möchte. Wer jetzt unglaublich gern und unglaublich viel mit 28mm fotografiert (und das tun die meisten, ohne es zu wissen…), für den lohnt sich der Kauf. Allerdings sollte man mehr Folgekosten für Nahrung einplanen, denn der Umgang mit dem Objektiv ist zweifelsohne Hanteltraining und erfordert etwas mehr Energiedurchsatz. Das 28mm Otus ist größer und schwerer als das gleichnamige 85mm Objektiv. Wer über die Anschaffung von hochwertigen Filtern nachdenkt, muss auch den riesigen Filterdurchmesser bedenken und die entsprechenden Mehrkosten.
Wenn den geneigten Fotografen weder Größe noch Gewicht noch Preis stören, dann kann ich das Otus nur empfehlen – allerdings ist es keine Schnappschusslinse. Das Fokussieren muss ganz genau erfolgen, denn man sieht im Bild später aufgrund der grandiosen Schärfeleistung jeden Fehler des Fotografen. Sorgfältiges Arbeiten muss hier gegeben sein. Belohnt wird man dann aber auch mit wunderbaren Farben und einem sehr feinen Bokeh – und eben einer unglaublich hohen Abbildungsleistung. Chromatische Abberationen findet man selbst in schwierigen Verhältnissen nicht, was die Klarheit der Bilder unheimlich erhöht.
Fazit
Als ich es zurückgeben musste, war ich erstmal froh, dass die Tasche wieder leichter war – deutlich leichter. Allerdings fehlt mir die Bildwirkung schon irgendwie. Insgesamt ein wirklich herausragendes Objektiv, für das alltägliche Handling allerdings mir persönlich zu schwer.
Manchmal jedoch… Manchmal wünsche ich mir schon ein Otus…
Elmar
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Sehr schöner Bericht, Elmar!
Nachdem ich das XF16 eine ganze Zeit lang hatte und Mehrdad so gerne damit fotografiert, ist das ein weiteres schnelles Weitwinkel, dass ich mal ausprobieren will.
Danke! Es ist definitiv ein tolles Objektiv, das man unbedingt mal probieren sollte. 🙂