Bislang hatte ich es immer geschafft bzw hat es sich so ergeben, dass ich einen Bogen um Wittenberg gemacht habe. Ob das höhere Gewalt, Absicht oder einfach nur Zufall war, lässt sich kaum ergründen. In diesem Frühjahr hatte es mich allerdings dorthin verschlagen… Und das, obwohl das Lutherjahr 2017 ja längst durch ist und nur noch in Nachwirkungen spürbar wird. Aber der Reihe nach.
Beruflich habe ich quasi automatisch mit Luther und seinen Auswirkungen zu tun. Als Leistender in der evangelischen Kirche kommt man um Luther ja nicht herum – in den letzten Jahren insbesondere auch im touristischen Sektor nicht – so konnte das Jahr 2017 in Sachsen-Anhalt mit langem Atem voraus seine Kreise ziehen.
2017, was war da eigentlich?
Lang vorbereitet fand das Lutherjahr statt – wenn man es so nennen möchte, und irgendwie liegt dieser Titel auch auf der Hand. Tatsächlich ging es jubilarisch um 500 Jahre Thesenanschlag an der Schlosskirche Wittenberg, bekanntermaßen durchgeführt durch Martin Luther am 31.10.1517 – falls sich also jemand fragt, warum der 31. Oktober ein Feiertag mancherorts in Deutschland ist… Tadaa! Startschuss für die „Reformation“ genannte Kirchenveränderung, die letztlich in evangelische und katholische Kirche mündete.
Das Land Sachsen-Anhalt hatte sich darauf entsprechend seit Jahren vorbereitet und das war auch gut so. Viele Stellen in Wittenberg sind ausgebaut worden – das Besucherzentrum an der Schlosskirche, dem Ort des damaligen Geschehens, bekam ein „Makeover“ und wurde irgendwie auf die erwarteten Massen vorbereitet – bis auf die fehlenden öffentlichen Toiletten und das ist nicht nur ein fauxpas ;). Insgesamt wurde Wittenberg chic gemacht. Ein wenig erinnert es mich allerdings an die Vorbereitungen auf russische Staatsbesuche in der DDR – die Straßen, durch die gefahren wurde, bekamen einen neuen Anstrich… im Erdgeschoss. Mehr hat man aus den Staatskarossen eh nicht gesehen. Ein bisschen mehr ist schon passiert und die Ausgangslage war auch besser und so hat Wittenberg sich insgesamt zu einer schönen Stadt entwickelt. Nicht umsonst ist auch ein Predigerseminar hier angesiedelt – am Kernort der evangelischen Kirche auch richtig platziert.
Eine Reise ist es allemal wert, das Städtchen. Eine lange Meile zieht sich durch die Stadt: Entlang jener kann man Cranach (ja!), Melanchthon, Luther, von Bora und weitere Gestalten des 16. Jahrhunderts in ihren Häusern besuchen (also im übertragenen Sinne, alles andere wäre gruselig!). Immer wieder laden Höfe ein, die Meile zu verlassen und hinein zu schauen. Neben Gastwirtschaften und Museen ist auch die Kunstszene nicht müde und veranstaltet so dies und das- beispielsweise sogenannte Tiny Houses (ist jetzt der neueste Schrei. 68er und Späthippies kennen das noch als „Bauwagen“ 😉 ). An der Wirkungsstätte der Cranachs (beide) hätte ich auch nicht weniger Kunst erwartet. Für Cranach-Interessierte lohnt sich dann der Abstecher in die Stadtkirche, dort sind Retabeln und Teile von Epitaphien ausgestellt, die den Cranachs zuzuschreiben sind. Spannende Sache!
Was ein bisschen witzig erschient, ist der „Hype“ um Luther selbst. Man scheint regelrecht einen modernen Heiligen (sic!) aus ihm zu konstruieren. Was er nicht alles gemacht hat und wo er nicht überall war!!! Toll, dieser Typ! (Möchte man meinen. Seine Tischreden machen das ganze schon wieder etwas ambivalenter, ehrlich gesagt, und da möchte man sich nicht unbedingt komplett identifizieren!)
Melanchthon war auch „ganz cool“, insbesondere nach dem Besuch des gleichnamigen Hauses hat man davon einen Eindruck bekommen – museal interessant aufgearbeitet… Insbesondere der Hip-Hop/ Rap zu Melanchthon ist ziemlich gut gemacht… Anschauen, schmunzeln!
Es ist ja normal, das vor Ort Luther-Apotheken, Luther-Restaurants usw zu finden sind. Im letzten Jahr wurde es dann in meinen Augen etwas absurd: Lutherkuchen, Lutherbier (He, nix gegen Bier!) in verschiedenen Sorten, Luther-Äpfel, Luther-Playmobil Figuren (ja, echt jetzt!), Luther-Badeenten (unvermeidlich und ja, irgendwie süß), Luther-Taschen, …-Beutel, Bücher, Comics, Museen, Städte und und und. Ach ja: Rosa Lutherpass für, ähm, Lutherpilger sozusagen.
Und nun 2018?
Was gibt es davon noch? Ich hoffe, Wittenberg geht nun nicht touristisch den Bach runter, denn sehenswert ist es allemal. Ein Eindruck, den ich allerdings nicht abschütteln konnte: Es ist teilweise ganz schön leer und das obwohl in Deutschland der Mai zu Städtetouren einlädt… Hmm. „Nüscht los in Wittenberg?!“
Vermutlich fällt Sachsen-Anhalt gerade ins Loch zwischen Luther und Bauhaus (bzw Heinrich I. in Quedlinburg…) Für 2018 scheint es kein zielgerichtetes Landesmarketing zu geben und so heißt es „Durchhalten!“ für Wittenberg (und andernorts).
Wer mal einen schönen Wochenendtrip machen möchte in den Wilden Osten – ja, außer Quedlinburg gibt es noch mehr – besucht ruhig Wittenberg. Neben dem 16. Jahrhundert gibt es dort auch mehr, ein Panorama zum Beispiel. Ganz in der Nähe findet man das Gartenreich Dessau-Wörlitz, ebenso Welterbe wie Wittenberg selbst. Beides ist praktischerweise sogar mit einer Buslinie verbunden, einer, wie ich genial finde, „Welterbelinie“. ? Schlau betitelt! Radtourismus funktioniert dort auch prima. Die Menschen sind in der Regel herzlich und freundlich im Umgang. Was will man mehr…?
Fotoinformation: Alle Bilder wurden ausschließlich mit einem ZEISS Loxia 50mm f2 angefertigt.
Kleine Galerie zu Wittenberg. Draufklicken, freuen!
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